Wussten Sie, dass statistisch in Deutschland jede zweite Überstunde nicht bezahlt wird. Aber wann spricht man eigentlich von Überstunden.
I. Der rechtliche Begriff der Überstunden
Als „Mehrarbeit“ oder auch als „Überstunden“ werden jene Arbeitsstunden bezeichnet, welche ein Arbeitnehmer über die vereinbarte Regelarbeitszeit hinaus leistet. Diese Regelarbeits- zeit ergibt sich entweder aus dem individuellen Arbeitsvertrag, aus Tarifverträgen, betrieblichen Vereinbarungen oder per Gesetz. Dabei wird die Zeit, in welcher ein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft seinem Arbeitgeber zur Verfügung stellen muss, als „Arbeitszeit“ bezeichnet. Wie lange diese im Einzelnen täglich maximal zulässig ist, wird im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) geregelt, dabei ist jedoch zu beachten, dass sich diese Regelungen ausschließlich auf die tägliche zulässige Arbeits- zeit beziehen, und nicht etwa auf deren Verteilung auf die Wochentage.
Regelungen, wann die tatsächliche Arbeitszeit stattfinden soll, obliegt dem Arbeitgeber.
§ 3 ArbZG regelt die Arbeitszeit der Arbeitneh- mer: „Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten.
Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten
oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.“
Dies bedeutet, dass die tägliche Arbeitszeit von acht Stunden nur in Ausnahmefällen überschritten werden darf.
II. Wann dürfen Überstunden angeordnet werden?
Auch wenn Ihr Chef dies vielleicht nicht so gern hören wird: Er darf Sie nicht einfach so zur Leistung von Überstunden zwingen. Sonst würden die Rege- lungen im Arbeitsvertrag ja keinen Sinn mache
Eine Ausnahme hiervon bereiten natürlich Situationen, welche von den Arbeitgebern nicht voraussehbar sind. Ein Bei- spiel hierfür ist ein Server-Ausfall oder eine Krankheitswelle in der Belegschaft. Hingegen sind Situationen wie ein neuer Groß- auftrag oder ein entstandener Personalengpass für die meisten Ar- beitgeber vorhersehbar und daher nicht als Grund zur Anordnung von Überstunden zu bewerten.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in allen Situationen, welche für den Arbeitgeber voraussehbar waren, Überstunden nicht zu leisten sind.
Zur Leistung von Überstunden kann es in folgenden drei Fällen kommen:
1. Regelung im Arbeitsvertrag
Es ist jedem Arbeitgeber und Arbeitnehmer frei überlassen eine Klausel zu den Überstunden in den jeweiligen Arbeitsvertrag aufzunehmen. Es empfiehlt sich geradezu in den Branchen, bei denen die Leistung von Überstunden geradezu vorhersehbar ist, eine solche Klausel bereits bei Arbeitsbeginn festzulegen.
Besonders wichtig ist es, darauf zu achten, wie die Klauselbestimmung ist. In vielen Arbeitsverträgen finden sich die Klauseln, die besagen, dass Überstunden “pauschal abgegolten“ sind. Jedoch sind nicht alle wirksam.
Anliegend finden Sie einige Beispiele zu höchst-richterlicher Rechtsprechung dazu:
а. Klausel
“erforderliche Überstunden werden nicht gesondert vergütet, sondern sind mit dem Gehalt abgegolten.“
Eine solche Klausel ist unwirksam, da der Arbeitnehmer nicht erkennen kann, wann Überstunden erforderlich sind und wann nicht, BAG Urteil vom 01.09.2010, Az.: 5a ZR 517/09.
b. Klausel „Überstunden werden nicht gesondert vergütet, sondern mit dem Gehalt abgegolten, soweit sie einen Umfang von 3 Stunden pro Woche/10 Stunden pro Kalendermonat nicht überschreiten. Darüber hinausgehende Überstunden werden auf der Grundlage des monatlichen Grundgehalts ge- sondert bezahlt.“
Diese Klausel ist wirksam, BAG Urteil vom 16.05.2012, Az.: 5a ZR 331/11. Die Anzahl der Überstunden muss zeitlich genau eingegrenzt sein und darf das übliche Maß nicht über- schreiten. Also müssen die Überstunden nicht gesondert gezahlt werden. Alles darüber hinaus muss der Arbeitgeber jedoch ver- güten.
Schreibt Ihr Arbeitgeber aber zum Beispiel in den Vertrag, dass 40 Überstunden oder mehr im Monat mit dem Gehalt abge- golten sind, ist das übliche Maß überschritten. Sodann könnten Sie eine Bezahlung aller geleisteten Überstunden verlangen.
2. Tarife
Eine weitere Ausnahme stellen die Vereinbarungen in Tarifverträgen dar. Ein Tarifvertrag ist ein schriftlicher Vertrag zwischen einem Arbeitgeberverband oder Arbeit- gebern und einer Gewerkschaft zur Regelung von Rechten und Pflichten zwischen den Vertragsparteien. Dazu gehö- ren unter anderem auch Regelungen hinsichtlich Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen so- wie betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fra- gen.
Gesetzliche Regelungen finden sich im Tarifvertrags-
gesetz (TVG).
Tarifverträge enthalten oft Regelungen darüber, wann und wie viele Überstunden der Arbeitgeber von Ihnen verlangen darf (siehe z. B. § 7 Abs. 7, 8, Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÜD). Danach liegen Überstunden dann vor, wenn die Mehrarbeit nicht bis zum Ende der folgenden Woche durch Freizeit ausge- glichen wird. Die Bezahlung richtet sich nach der persönlichen Besoldung.
3. Betriebsvereinbarung
Eine weitere Ausnahme bildet die Betriebsvereinbarung. Die Be- triebsvereinbarung ist eine Vereinbarung auf betrieblicher Ebene zwischen Arbeitgeber und dem Betriebsrat. Dabei werden Bestim- mungen getroffen, welche sich unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Die Betriebsvereinbarungen sind Verträge zwischen Ar- beitgeber und dem Betriebsrat.
Gibt es in Ihrer Firma einen Betriebsrat, kann dieser mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung zum Thema Überstunden schließen, § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Darin kann geregelt werden, unter welchen Bedingungen der vorgesetzte Mehrarbeit anordnen darf.
Wenn Sie sich mit Ihrem Chef gut verstehen, wird auch das Thema Überstunden kein Problem sein. Schwie- rig wird es jedoch, wenn zwischen Ihnen und Ihrem Vorgesetzten über die geleisteten Überstunden Unstimmig- keit besteht. Daher ist besonders wichtig zu wissen, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, Sie nur dann einen Anspruch auf Auszahlung oder Ausgleich der Überstunden haben, wenn Sie als Arbeitnehmer die geleis- teten Stunden auch nachweisen können. Der Arbeitgeber muss über die geleisteten Stunden in Kenntnis gesetzt worden sein und diese auch dulden, BAG, Urteil vom 07.04.2002, Az.: 5a ZR 644/00.
Sind die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt, so scheitern oft gerichtliche Auseinandersetzungen
bezüglich Auszahlung oder Freizeitausgleich. Deshalb ist es besonders wichtig, eine genaue Aufzeichnung über die tatsächlichen Arbeitszeiten mit Beginn und Ende zu führen, alle Überstundenanordnungen schriftlich doku- mentieren zu lassen und sollte es einen Betriebsrat geben, diesen umgehend darüber in Kenntnis zu setzen. Sollten Sie sich für den Freizeitausgleich entscheiden, ist besonders wichtig zu berücksichtigen, dass der Ar- beitgeber den Zeitpunkt für den Freizeitausgleich bestimmen darf, BAG, Urteil vom 19.05.2009, Az.: 9a ZR 433/08.
Wie berechne ich eigentlich den Stundensatz für meine Vergü- tung? Dazu dienen die nachfolgenden Beispiele:
Herr Albert arbeitet als Buchhalter mit einer Arbeitszeit von 40
Stunden pro Woche. Dabei verdient dieser EUR 2.800,00 brutto. Im Oktober leistet Herr Albert 20 Überstunden. Ausgehend von
4,33 Wochen pro Monat wird der Lohn für eine Überstunde so berechnet:
EUR 2.800,00 / 4,33 Wochen / 40 Std. = EUR 16,17 * 20
Überstunden = 323,33 €
Somit kann Herr Albert EUR 323,33 brutto als Bezahlung der Überstunden für Oktober zusätzlich von seinem Arbeitgeber ver- langen.
Besonders wichtig ist dabei zu beachten, dass nach einhelliger Rechtsprechung auch ein von 15 bis 25 prozenti- ger Aufschlag zum Bruttogrundgehalt je Stunde verlangt werden kann, BAG, Urteil vom 22.02.2012, Az.: 5a ZR
765/10
III. Checkliste zur Bezahlung von Überstunden
Anhand der folgenden Checkliste können Sie überprüfen, ob Sie Anspruch auf Vergütung Ihrer Überstunden ha- ben.
- Beweis der Überstunden – Können Sie die Überstunden beweisen? Ja, wenn eine Zeiterfassungsliste vorhanden ist. Wurden die Überstunden von den Vorgesetzten angeordnet oder vom Chef hingenommen?
- Habe ich eine Überstundenregelung im Tarifvertrag? – Gilt für Sie eine Regelung zur Bezahlung von Überstunden in einen Tarifvertrag? Erkundigen Sie sich dazu beim Betriebsrat oder bei der zuständigen Gewerkschaft. Fordern Sie die Vergütung, die der für Sie einschlägige Tarifvertrag vorsieht.
- Regelung im Arbeitsvertrag – Steht in Ihrem Arbeitsvertrag etwas zur Vergütung von Überstunden? Falls eine Vergütung vorgesehen ist, fordern Sie diese auch ein.
- Pauschale Abgeltungsklausel im Vertrag – Gibt es eine Klausel in Ihrem Vertrag, wonach Überstunden pauschal mit dem Festgehalt abgegolten sind? Dann ist die Regelung wahrscheinlich unwirksam. Sie können eine branchen- und betriebsübliche Vergütung verlangen.
- Keine Regelungen im Arbeitsvertrag – Enthält Ihr Vertrag keine Regelung, so können Sie ebenfalls das Verlangen was branchen- und betriebsüblich ist. Gibt es einen Tarifvertrag für Ihre Branche, der aber in Ihrem Arbeitsverhältnis nicht gilt, weil Ihr Arbeitgeber Sie nicht daran gebunden hat, können Sie trotzdem die festgelegte Bezahlung verlangen.
- Verjährung – Sämtliche Überstunden verfallen nach spätestens 3 Jahren.
Das Wichtigste in Kürze:
- Niemand ist zur Leistung von Überstunden verpflichtet. Etwas anderes kann alleine aus dem Tarif oder dem Arbeitsvertrag, aus einer Betriebsvereinbarung oder in besonderen Situationen wie zum Beispiel bei personellen Engpässen durch eine Krankheitswelle hervor gehen.
- Sie können die Überstunden ablehnen, wenn Sie insgesamt mehr als 10 Stunden am Tag arbeiten sollen und innerhalb der nächsten 6 Monate nach Rücksprache mit dem Arbeitgeber, keinen Frei- zeitausgleich erhalten können.
- Steht in Ihrem Vertrag, dass Überstunden pauschal mit dem Festgehalt abgegolten sind, so ist diese
Klausel unwirksam. Sie können eine branchenübliche Bezahlung verlangen. - Jede Überstunde muss im Zweifel vor Gericht bewiesen werden. Dokumentieren Sie Ihre Stunden und lassen Sie sich diese am Besten vor dem Vorgesetzten abzeichnen.
Rechtsanwältin Anna Tönies-Bambalska